Kuba
Politische Kulturökologie in Ressourcenperipherien der sog. Dritten Welt
Prof. Dr. Beate M.W. Ratter, Dipl.-Geogr. Annika Dröge
Gefördert durch den Forschungsfonds der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Kuba ist einer der größten Zuckerexporteure weltweit und generiert seit Jahrzehnten den Großteil der Außenhandelseinnahmen aus dem Export von Rohzucker und Zuckerderivaten. Dieser Produktionszweig – und die mit ihm verbundenen ökologischen und politisch-kulturellen Verhältnisse – sind mit der tiefen Wirtschaftskrise seit Beginn der 90er Jahre massivem Transformationsdruck ausgesetzt. Die begonnene Strukturveränderung im Zuckersektor prägt die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Insel und sie wird darüber hinaus auch eine entscheidende Rolle in der Transformation Kubas in einer zu erwartenden Post-Castro-Ära spielen. Der Entwicklungspfad dieses Wirtschaftszweiges wird von der Lösung mehrerer Probleme bestimmt werden: Wird es eine Transformation der Zentralverwaltungswirtschaft geben, und wenn ja – zu welchen Eigentums-, Planungs- und Marktformen, in welchem Tempo, mit welchen politisch-gesellschaftlichen Begleiterscheinungen, in welchen nationalen und internationalen Kontexten? Wird das Ausmaß der mit Zucker bewirtschafteten Flächen (weiter) zurückgehen, und wenn ja – planmäßig oder krisenhaft? Wird die Fertigungstiefe erhöht werden – vom Rohzucker über den Weißzucker bis hin zu komplexeren zucker-basierten Endprodukten? Ist der Übergang zu einer naturschonenderen Produktion möglich (physisch-ökologisch, ökonomisch, kulturell), und wenn ja – in welchem Ausmaß und Tempo?
Aufgabe des Forschungsprojekts soll es sein, mögliche Entwicklungspfade der Sektorentwicklung zu beschreiben und die Bedingungen dafür anzugeben, dass solche Trajektorien eingeschlagen und systematisch stabilisiert werden können. Für die Analyse und die Skizzierung von Entwicklungspfaden wird ein Arsenal zeitgenössischer Theorien verwendet, die sich innerhalb der Geographie entwickelt haben oder von ihr nutzbar gemacht werden konnten. Dazu zählt die System- und Komplexitätstheorie, deren Kategorien (z.B. Pfadabhängigkeit, Bifurkation, Gleich- und Ungleichgewicht) zur Aufklärung von Systemdynamiken - im gesellschaftlichen und ökologischen Kontext - und zu den Theorien des Managements ungewisser Prozesse beitragen; dabei soll auch der Gender and Development Ansatz mit bedacht werden; die Institutionenökonomie, die den Beitrag von Institutionen (im ökonomischen Sinn: als Determinanten von Handlungsoptionen) für die Etablierung optimaler Märkte erhellt (was im kubanischen Kontext für die Transformationsfrage bedeutsam ist); die politische Kulturökologie, mit der die Entstehung und Stabilisierung kultureller Muster und ihre Wirkung auf politische und ökonomische Handlungszusammenhänge untersucht werden kann – im kubanischen Kontext wäre das vor allem die zuckerzentrierte Produktionskultur (Zucker als Produkt und als kulturelles Zeichen).
Als interdisziplinäres forschungspolitisches Ziel ist es angestrebt, Vertreter von Natur- und Humanwissenschaften, insbesondere aus der Bodenkunde, der Wasserwirtschaft und der Agrarwissenschaft sowie aus Wirtschafts- und Kulturgeographie, Physischer und Agrargeographie zu beteiligen – auf deutscher und kubanischer Seite. Das Projekt soll darüber hinaus einen Beitrag zur Kooperation der geographischen Teildisziplinen sowie der geographienahen Fächer leisten. Der Gegenstand des Projektes (die Mensch-Natur-Interaktion in einem konkreten, politisch-ökonomisch-kulturell und räumlich bestimmten Stück Zeitgeschichte) sowie seine breit angelegte Methodik und Multidisziplinarität lassen es geeignet erscheinen, Ausgangspunkt für den Entwurf eines integrierten, fächerübergreifenden Masterstudiengangs an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz werden zu lassen: „Human-Nature-Interaction“.